Karwoche im Wald
Ich muss in mein Wäldchen, das verborgene, schwer zugängliche. Schlimmes ist mit ihm geschehen.
Von weitem konnte ich es sehen. Heute muss es sein. Ich muss es aushalten.
Jetzt, jetzt müsste es dunkel und lauschig werden.
Hier bauten wir Hütten mit den Kindern, saßen am Bach.
Alles platt, abgeholzt, Harvester, Spuren der Gewalt.
Nicht mal ein Sonnenstrahl kann hier beschönigen. Ich stehe erstarrt.
Ich kann mich plötzlich nicht mehr bewegen. Ein Wald ist weg.
Nur ein paar dürre Bäume am Rand ragen vorwurfsvoll gen Himmel.
Der Waldbesitzer aus Bayern, der mit der Holzfabrik.
Was hat er zu suchen in unserem bisschen Wald zwischen Eigenheimen und Stadtrand?
Gekreuzigte Bäume, blutende Buchenstümpfe. Ich steige zum Bach hinunter, Grünes schimmert an den Ufern.
Hoffnung auf Auferstehung. Es knackt.
Fünf Rehe jagen durch das Gelände. Die waren immer hier und haben ihre Heimat doch verloren.
Aber es gibt sie noch. Und mich gibt es auch noch. Auch wenn mich heute Trauer überwältigt.
Mit den anderen werde ich kämpfen. Um jeden Baum.
Aber er forstet doch auf, sagt einer. Bäume, in hundert Jahren....
~ Anja Diering, April 2023 ~
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Ich finde Dich in allen diesen Dingen
Ich finden dich in allen diesen Dingen,
denen ich gut wie ein Bruder bin;
als Samen sonnst du dich in den geringen
und in den großen gibst du groß dich hin.
Das ist das wundersame Spiel der Kräfte,
dass sie so dienend durch die Dinge gehn:
in Wurzeln wachsend, schwindend in Schäfte
und in den Wipfeln wie ein Auferstehn.
~ Rainer Maria Rilke, 24.09.1899, Berlin-Schmargendorf ~